Meine
Frau und ich besuchen eine Lesung. Der alte Pater Ludwig Kaufmann liest in
einem kleinen Saal mit freier Bestuhlung. Wir kommen spät und finden eben
gerade noch Platz, ich in einiger Entfernung von meiner Frau. Der Jesuitenpater
aber schläft ein, befallen von einem Unwohlsein. Er muss die Lesung abbrechen
und nach Hause. Da er in unserer Nähe wohnt, kümmert sich meine Frau um ihn und
begleitet ihn hinaus, zur Tramhaltestelle. Es ist aber später Abend, und die
Trams fahren nur noch selten. Wir kennen den berühmten Pater Kaufmann nicht
näher, sind aber jetzt glücklich, auf diese Weise seine Bekanntschaft zu
machen. Wir warten mit ihm auf das Tram, das erst in einer Viertelstunde kommen
wird. Ich mache auf dem weiten freien Platz einen kurzen Rundgang und sehe
dabei, dass ein schmaler Kanal, der normalerweise abgedeckt ist, quer über den
Platz führt. Auf dieser Wasserstrasse bewegt sich jetzt ein militärisches
Objekt, ein grosses gepanzertes Boot, das genau die Breite des Kanals hat und
lautlos vorübergleitet. Ich bestaune diese seltsame Erscheinung und werde von
einem energischen, übereifrigen Wachsoldaten angesprochen, der mich fragt, was
ich hier machen würde. Meine Antwort befriedigt ihn nicht, er erklärt, er müsse
mich verhaften, ich sei ein Spion. Ich verteidige mich und sage, er mache sich
lächerlich, ich sei doch ein ganz gewöhnlicher Passant. Er bleibt aber
hartnäckig und zeigt auf einen kleinen alten Säbel, den ich bei mir habe. Wieso
würde ich diese Waffe tragen? Ich sage, es sei ein Familienerbstück, das ich
zum Spass bei einem Nachtmarsch mit alten Schulkameraden mitgeführt hätte. Er
befiehlt mir, mitzukommen. Von meiner Frau kann ich mich nicht mehr
verabschieden, ich sehe nur noch, wie sie mit dem Pater das Tram besteigt. Der
Wachsoldat bringt mich zu einem Verwaltungsgebäude und befiehlt mir, im
Eingangsbereich zu warten. Ich warte, alleingelassen, aber niemand zeigt sich.
Ich bemerke eine in den Boden eingebaute Falltüre, die zu einer «Panzerhalle»
führen soll, offenbar einer streng geheimen Anlage, die sich mitten in der
Stadt befindet. Nach einer halben Stunde erscheinen endlich zwei elegante
ältere Herren in Zivil, vertieft in ein juristisches Gespräch. Ich halte sie auf
und erkläre ihnen meinen Fall. Sie sind erstaunt, besprechen sich auf
französisch und erklären, es liege ja nichts gegen mich vor, man müsse mich auf
jeden Fall sofort freilassen. Mein Wachsoldat ist verschwunden, es ist unklar,
wie es jetzt weitergeht.
Samstag, 30. Juli 2022
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