Wir sind
Kantonsschüler und stehen vor der Matura. Wir haben eine Prüfung in Geographie,
die wichtig sein wird, weil wir in Geographie noch kein Ex hatten und dieses Ex
demnach die Note massgebend bestimmen wird. Wir nehmen aber die Sache nicht
ernst, nehmen an, dass wir uns problemlos eine gute Note sichern können und
hören den Erklärungen der Lehrerin nicht zu. Sie verteilt nach längeren
Ausführungen jedem eine Karte. Wir entfalten sie, sie zeigt uns unbekannte
Gebiete, vermutlich Teile von Belgien, Holland oder Frankreich. Sie ist voller
grüner, roter, blauer, gelber Punkte, deren Funktion die Lehrerin eben gerade
erklärt hat, uns aber jetzt völlig unverständlich ist. Wir sollten diese Punkte
interpretieren, irgendwelche Verbindungen aufzeigen, Wege, Strassen, Flüsse.
Meine Kameraden beugen sich über die Karte und beginnen bereits fleissig zu
schreiben. Die Zeit für die Lösung der Aufgabe ist im übrigen kurz bemessen,
man muss seine Notizen demnächst schon abgeben. Wir aber haben nicht einmal
Papier, nur lausige lächerliche Zettelchen, die ganz unbrauchbar sind. Wir
suchen nun Papier, womit wir weiter Zeit verlieren. Wir finden einen
Photokopierer, wollen dort einige Bögen Papier entnehmen, er ist aber mit einem
dunklen, fast schwarzen Papier gefüllt. Schliesslich gibt uns ein Mitschüler
unwillig ein Blatt von seinem Block, wir schreiben in der grössten Eile einfach
einige der flämischen oder wallonischen Ortsnamen hin, in der Hoffnung, dass
wir damit bei der Lehrerin irgendwelche Punkte holen und es nicht zu einer Eins
kommt, was im Hinblick auf die bevorstehende Matura eine Katastrophe wäre. Zeit
haben wir nur noch eine Minute! Und unter unseren Schulsachen herrscht die
grösste Unordnung, wir haben uns eigentlich nie um die Schule gekümmert, sie
war uns immer lästig. Jetzt aber herrscht ein Riesenchaos, in welchem wir nun
auch noch das soeben beschriebene Blatt nicht mehr finden können. Wir können
der Lehrerin nichts abgeben, rein gar nichts. Das führt uns in unserer
Verzweiflung zu einer Ausrede, wir fragen, ob wir nicht vielleicht später noch
etwas abgeben könnten. Die Lehrerin ist streng und ungeduldig, aber auch etwas
zerstreut und nervös, sie sagt uns, ja, das sei schon möglich, vielleicht
könnten wir ja „eine Alternative“ aufzeigen. Wir geben daher noch nicht alle
Hoffnung auf und werden versuchen, ihr noch irgendetwas Schlaues abzugeben,
unter Konsultation meiner Mitschüler, die mir wohl noch gnädig gesinnt sind und
einige Hinweise geben. Jetzt gehen wir mit ihnen seufzend und erschöpft in die
Pause, sagen, dass es gut sei, dass wenigstens der Franzlehrer nie eine Prüfung
mache und allen eine genügende Note gebe, der Franzlehrer könnte uns ja mit dem
Franz ganz schrecklich plagen und viel Aufwand verlangen.
Montag, 15. Juni 2015
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