Wir
wohnen an einer leicht abschüssigen breiten Strasse in einem Wohnblock. Weiter
oben wird ein grosser Sportanlass durchgeführt, es findet dort die Eröffnung
der Olympischen Sommerspiele statt, und zwar mit dem ersten Wettkampf, dem
Strassen-Radrennen der Herren. Die riesige Tribüne ist schon voll besetzt, die
Rennfahrer trainieren aber noch und rasen mit grosser Geschwindigkeit an uns
vorbei. Das ist recht gefährlich, weil sich auf der für den Verkehr gesperrten
Strasse noch immer Fussgänger und Kinder aufhalten. Was wird erst geschehen,
wenn der Start erfolgt und das ganze Feld heranbraust, denken wir. Es könnten
gefährliche Situationen entstehen. Wir befürchten insbesondere, dass auch
unsere Gattin, die einkaufen gegangen ist, in einen Unfall verwickelt werden
könnte. Einer der Rennfahrer macht Spässe, er fährt mit einem Kind herum, das
auf seinem Kindervelo sitzt und nun gestossen und geführt wird und zusammen mit
dem Spitzensportler wilde Kurven fährt. Wir gehen hinauf, der Strasse entlang,
zur Tribüne. Dort werden feierliche Zeremonien durchgeführt und Reden gehalten,
verschiedene Politiker sind anwesend, insbesondere aus dem vaterländischen und
patriotischen Lager. Blocher ist auch da, er sieht uns und lädt uns freundlich
ein in sein Haus, das sich oberhalb der Tribüne am Berghang befindet. Wir sind
nicht allein unterwegs, sondern mit einigen Freunden und Kollegen, die allesamt
Blocher-Kritiker sind, jetzt aber mit heftigen Armbewegungen allesamt
eingeladen werden. Kommt, kommt, sagt Blocher, und drängt uns den Besuch
geradezu auf, obwohl er und wir dann das Rennen wohl gar nicht sehen werden.
Der Start findet in zehn Minuten statt, und es ist sehr wohl denkbar, dass ein
Schweizer das Rennen und damit Gold gewinnt. Wir werden von Blocher durch
seinen Garten geführt. Ein brauner Pudel erscheint, ein berühmtes Tier, dessen
Name die halbe Schweiz kennt, wir aber zu unserer Beschämung nicht wissen. Dann
kommen wir zu einer gedeckten Laube, in welcher die ganze zahlreiche Familie
auf einer langen Bank im Halbdunkel an einem Tisch sitzt. Die andere Bank ist
noch frei, und wir werden eingeladen, uns hier zu setzen. Kennt ihr meine
Familie, fragt Blocher. Nein, sagen wir, nicht genau, wir können sie auch nicht
genau sehen, sie sitzen ja alle im Dunkeln. Blocher lacht, stellt uns dann alle
Anwesenden vor, von links nach rechts. Wir fühlen uns unbehaglich und überlegen
uns, was wir denn jetzt am Tisch mit diesen zahlreichen Blochers reden könnten.
Könnten wir vielleicht fragen, ob sich auch einer von ihnen für Literatur
interessiert? Oder ob Blochers Schwester die einzige in der Familie ist, die
ein Buch geschrieben hat. Ist es nicht unhöflich, von dieser Schwester zu
reden, die hier gewiss keinen guten Ruf besitzt. Und was würden wir antworten,
wenn man uns fragen würde, ob wir ihr Buch gelesen hätten. Nein, würden wir
sagen, wir haben es nicht gelesen, wir lesen solche Bücher nicht gerne, sie
regen uns nämlich auf, weil sie meistens sehr selbstgefällig sind. So könnten
wir reden, und beifügen, die Schwester würde sicher schreiben, dass sie den
besseren Teil der Familie Blocher repräsentieren würde. Solche Gedanken gehen
uns durch den Kopf, wir stehen noch immer vor der versammelten Schar der Kinder
und Freunde und sollten nun Platz nehmen, vom Rennen, das in diesen Minuten
beginnt, ist keine Rede mehr.
Dienstag, 21. August 2012
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