Sonntag, 18. Juli 2010

Mitternacht, Spital, vor einigen Tagen sind wir operiert worden, jetzt könnten wir eigentlich nach Hause gehen, sind aber offensichtlich vergessen worden, denn seit zwei Tagen haben wir keinen Arzt mehr gesehen. Wir handeln daher auf eigene Verantwortung und wollen verschwinden, wir packen unsere Sachen zusammen, ziehen, über das Pijama, den Mantel an und gehen aus dem Zimmer. Im Gang treffen wir einen dunkelhäutigen Assistenzarzt, der hier ein Praktikum als Endokrynologe absolviert und sich auch um uns gekümmert hat. Wir sagen ihm, dass wir nach Hause gehen würden, fragen aber noch, ob denn die Frau Doktor Moser, die uns behandelt hat, nicht doch vielleicht da sei. Ja, sie sei da, sagt er, er hole sie gleich. Sie kommt, eine ältliche, müde, stets etwas zerstreute Frau, sie ist sehr besorgt um uns, will noch mit uns reden und schlägt vor, doch noch hinaus in ein Café zu gehen. Wir gehen hinaus, in eine grosse fremde Stadt, überqueren breite Strassen und leere Plätze. Die Restaurants, die es hier hat, sind zu dieser späten Stunde geschlossen oder sehen wenig vertrauenswürdig aus. Wir gehen weiter, in Richtung Bahnhof, wohin ich sowieso gehen muss. Am Ende gelangen wir zu einem Wohnblock, in welchem die Frau Doktor wohnt, und sie schlägt nun vor, dass wir doch bei ihr etwas essen könnten. Sie führt uns in ihre schäbige kleine Wohnung und will uns etwas Besonderes kochen, eine Art Omelette. Dazu benötigt sie aber einen Pinsel. Wir finden einen Pinsel, der allerdings zum Malen gebraucht worden und voller schwarzer Farbe ist. Sie bittet uns, diesen Pinsel zu reinigen, während sie Eier aufschlägt. Wir gehen zum Lavabo, sehen aber keine Möglichkeit, diesen dick mit Farbe beschmutzten Pinsel so zu reinigen, dass er nachher zum Kochen hätte verwendet werden können. Brauchen sie wirklich einen Pinsel, sagen wir, nicht unbedingt, sagt sie, nein, es gehe auch mit einer Gabel oder einem Löffel. Dann nimmt sie Aufschnitt aus dem Kühlschrank, den sie, wie sie sagt, vor unserem Spitaleintritt gekauft habe. Das Datum sei abgelaufen, aber das Fleisch könne trotzdem verwendet werden. Das alles ist reichlich chaotisch, die Ärztin hat einen guten Ruf, lebt aber nur für ihre Arbeit und scheint kein Privatleben zu haben. Wir wissen nicht, warum wir jetzt bei ihr zu Hause sind. Hübsch ist sie nicht, für uns kommt eine Verbindung nicht in Frage. Was sie denkt, wissen wir nicht. Wir bedauern, dass wir mit ihr gegangen sind und möchten so schnell wie möglich weg, möchten den noch sehr weiten Weg zu unserer Wohnung unter die Füsse nehmen, wissen aber, dass es dort auch nicht besser aussieht als bei der Frau Doktor, auch wir haben ein Chaos, sind nicht in der Lage, den Anforderungen des Lebens zu genügen.

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