Montag, 8. Februar 2021

Am Mittwoch sodann Seminar-Tag, ja, wirklich, ein Seminartag. Endlose Reihe von Vorträgen, wunderbar uninteressant, kein Inhalt, keine Gedanken. Wir dösen dahin, schweifen, machen uns unsere eigenen kleinen Überlegungen, schreiben einiges auf, notieren merkwürdige neue Worte, sitzen aber so eng, dass wir vorsichtig sein müssen und nicht auffallen dürfen. Neben uns sitzt eine verschlossene, dominante Schwedin, die aufpasst, dass kein männliches Wesen eine Geistestätigkeit entfaltet, die über dem im Norden erlaubten Niveau liegt. Uns will scheinen, dass es, damit die Welt ihren Lauf nehmen kann, immer auch Desinteressierte geben muss, und wir, als grosser Desinteressierter, einen schönen Beitrag dazu leisten. Vorne, wo die Vorsitzenden an ihren erhöhten Tischen sitzen, muss man es natürlich etwas genauer wissen, was vor sich geht. Hinten aber, wo wir auf Bänken sitzen, spielt es keine Rolle, wenn einer träumt und ganz anderswo ist. Wichtig ist, dass er sich nicht zu Wort meldet, denn sonst müsste ja die Pause mit Kaffee und Gebäck verkürzt werden und am Mittag gäbe es nicht Zeit genug für das Buffet und das Gruppenphoto. So will uns scheinen, war das schon immer gewesen, in den Stammesgesellschaften, in den Klöstern, in den Versammlungen der Fürsten, der Sitzungen der Kommunisten oder den neuen Eliten, zu denen wir gehören. Wir hören einen uralten Ton, den Palaverton, den Klosterton, in Millionen von Versammlungen haben wir gelernt, brav und anständig zu sein und die seltsamen Regeln eines undurchschaubaren Lebens zu befolgen, ein konsistentes System, universal und sehr wirkungsvoll, auch wenn es nur aus greulichem Aberglauben besteht. Am Mittag dann eben das Buffet, fein, reichhaltig, typische Gerichte des Gastlandes, gute Weine, dann Rückkehr in den Saal, keiner kann frömmer und andächtiger sein als wir es sind. 

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