Wir
leben mit der ganzen Familie in der Wohnung, in der wir als Knabe und junger
Mann gewohnt haben. In der Stube lebt auch eine Schlange, die wir als Haustier
halten oder besser gesagt dulden. Es ist nämlich eine Brillenschlange, die sehr
giftig ist. Es ist aber ein zahmes Tier, von dem, so lange man es in Ruhe
lässt, keinem etwas zuleide tut. Jetzt allerdings übersieht ein Besucher das
zusammengerollte Tier und stösst es mit dem Schuh weg. Es richtet sich sofort
drohend auf, gibt warnende Töne von sich und zeigt das Brillenmuster auf ihrem
Halsschild. Das Tier sieht ganz so aus wie die Brillenschlange aus meinem
Silva-Buch «Tiere aus aller Welt». Alle verlassen nun die Stube, ein junger
Mann reizt dabei die Schlange weiter. Ich warne ihn und erkläre ihm, dass er in
zehn Sekunden tot sei, wenn er gebissen werde. Später gehe ich alleine wieder
ins Wohnzimmer und will sehen, ob sich die Schlange beruhigt hat. Sie hat sich
beruhigt und sogar eine andere Gestalt angenommen, sie hat nun einen unschönen
kleinen Menschenkopf, der kluge Reden führen kann. Sie erklärt, sie habe
Kontakt zur Uni Lugano und würde gerne eine historische Arbeit schreiben. Sie
nähert sich und scheint ganz harmlos. Ich aber halte Distanz, denn ich bin
nicht sicher, ob sich das rätselhafte Wesen nicht plötzlich wieder in eine
wilde Giftschlange verwandelt. Es scheint ein Doppelleben zu führen, was mir ja
recht sein kann, denn das Schreiben eines wissenschaftlichen Aufsatzes verträgt
sich schlecht mit einer Giftschlangenexistenz und hat sicher einen
zivilisierenden Einfluss auf das Tier. - Ich erwache, erschrocken und verängstigt.
Freitag, 5. Juni 2020
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