Freitag, 5. Juni 2020


Wir leben mit der ganzen Familie in der Wohnung, in der wir als Knabe und junger Mann gewohnt haben. In der Stube lebt auch eine Schlange, die wir als Haustier halten oder besser gesagt dulden. Es ist nämlich eine Brillenschlange, die sehr giftig ist. Es ist aber ein zahmes Tier, von dem, so lange man es in Ruhe lässt, keinem etwas zuleide tut. Jetzt allerdings übersieht ein Besucher das zusammengerollte Tier und stösst es mit dem Schuh weg. Es richtet sich sofort drohend auf, gibt warnende Töne von sich und zeigt das Brillenmuster auf ihrem Halsschild. Das Tier sieht ganz so aus wie die Brillenschlange aus meinem Silva-Buch «Tiere aus aller Welt». Alle verlassen nun die Stube, ein junger Mann reizt dabei die Schlange weiter. Ich warne ihn und erkläre ihm, dass er in zehn Sekunden tot sei, wenn er gebissen werde. Später gehe ich alleine wieder ins Wohnzimmer und will sehen, ob sich die Schlange beruhigt hat. Sie hat sich beruhigt und sogar eine andere Gestalt angenommen, sie hat nun einen unschönen kleinen Menschenkopf, der kluge Reden führen kann. Sie erklärt, sie habe Kontakt zur Uni Lugano und würde gerne eine historische Arbeit schreiben. Sie nähert sich und scheint ganz harmlos. Ich aber halte Distanz, denn ich bin nicht sicher, ob sich das rätselhafte Wesen nicht plötzlich wieder in eine wilde Giftschlange verwandelt. Es scheint ein Doppelleben zu führen, was mir ja recht sein kann, denn das Schreiben eines wissenschaftlichen Aufsatzes verträgt sich schlecht mit einer Giftschlangenexistenz und hat sicher einen zivilisierenden Einfluss auf das Tier. - Ich erwache, erschrocken und verängstigt.

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