Mittwoch, 1. November 2017


Heute muss ich von 9 bis 12 Uhr meinen Matura-Aufsatz schreiben. Ich stehe vor dem Schulhaus und erwarte das Aufsatz-Thema von der schönen, unnahbaren und strengen Deutschlehrerin. Sie erscheint und nennt mir das Thema: Der Scharnwald. Ich erschrecke und kann rein gar nichts mit diesem Titel anfangen. Ich bitte daher um eine genauere Umschreibung. Die Lehrerin antwortet ungeduldig und etwas böse, dass das Thema dann eben heisse: Der Scharnwald und seine Bedeutung für die Katastrophen des Zweiten Weltkrieges. Ich versuche nun, diesem Thema einen Sinn abzugewinnen und gehe davon aus, dass es um das Werk von Ernst Jünger geht. In den Schulstunden war nie die Rede von ihm. Ist es nicht perfid, mir ein solches Thema aufzugeben? Von Jünger habe ich aber glücklicherweise viel gelesen, gewiss viel mehr, als die böse Lehrerin annimmt, aber auch wieder viel vergessen. Es ist nicht zu sehen, wie ich in drei Stunden etwas Befriedigendes hinkriegen kann. Zudem werde ich jetzt noch aufgehalten, denn in einem Raum des Schulhauses findet eine Hinrichtung statt. Eine grössere Zahl von Häftlingen steht da, einen Strick um Hals. Eine Vorrichtung zum Hängen aber sehe ich nicht. Das Urteil aber wird nun irgendwie vollstreckt. Ich will nicht zusehen und wende mich ab. Die Verurteilten sind guter Dinge und lachen noch eine oder zwei Minuten. Dann wird es still. Ich wende mich um und sehe, dass nun alle tot am Boden liegen. Jetzt ist es schon 9.45 Uhr, und in zwei Stunden sollte ich meinen Aufsatz fertig haben. Ich erwache und beginne, den Aufsatz zu konzipieren. Was könnte ich erwähnen, ganz besonders, um die strenge Lehrerin zu beeindrucken? Zitate von Jünger fallen mir nicht gleich ein, obwohl ich viele Exzerpte gemacht habe. Immerhin kommen mir Stichworte in den Sinn: Wäldchen! Es gibt bei Jünger irgendwo ein Wäldchen mit einer Nummer, 121 vielleicht oder 128. Waldgang, Waldgänger! Desinvolture, Frontkämpfer, Anpfiff, Saufrass, Handgranate. «Kommen wir noch ins Feuer, Herr Oberst?» «Sie kommen, sie kommen.» Damit könnte ich die Hexe, die mich hereinlegen will, überlisten und mit Härte und Männlichkeit beeindrucken. Ich könnte über die Ruhe schreiben, die den Waldgänger umgibt und beschützt, während in weiter Ferne ein unaufhörliches schreckliches Geschrei und Geheul zu hören ist. Ich schlafe nämlich wieder ein und höre, dass irgendwo allergrösster Jammer herrscht, Todesnot, Entsetzen, Zähneknirschen. Irgendwo ist eine ungeheure und ungeheuerliche Vernichtung im Gang. Oder könnte ich nicht auch höchst Gewagtes und Ungewöhnliches  zum Frontkämpfer sagen? Dass auch jeder Liebende ein Frontkämpfer ist, der bis an die Zähne bewaffnet aus seinem Schützengraben springt und zum Sturm einer feindlichen Stellung ansetzt?

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