Dienstag, 4. Juli 2017


Zweiter Weltkrieg, letzte Kriegstage. Wir werden aus einem deutschen Bergdorf evakuiert. Es muss alles sehr schnell gehen. Wir haben nur wenige Minuten Zeit, um das nötigste mitzunehmen. Wir packen einige Mappen der Hängeregistratur, mit irgendwelchen Papieren, Zeitungsausschnitten, komischen wertlosen Sachen, und vergessen ganz, dass wir eigentlich Kleider mitnehmen sollten. Es ist Winter und sehr kalt, und wir tragen jetzt nur einen dünnen Regenmantel. Obwohl wir nicht Soldat sind, können wir unsere Akten im Dienstfahrzeug eines Offiziers verstauen, der einen sehr hohen Rang einnimmt und in irgendeinem Bereich Reichsführer ist. Er ist eine beeindruckende, unnahbare Erscheinung, gewiss von altem Adel. Der Offizier kennt uns und ist uns wohlgesinnt, offenbar weil er unsere wissenschaftliche und literarische Tätigkeit schätzt. Ein langer Konvoi fährt zu Tal und dort zu einer grossen Kaserne. Dort herrschen Unruhe und unklare Verhältnisse, man stoppt uns und untersucht die Fahrzeuge. Was wohl geschieht, fragen wir uns, wenn die mit der Untersuchung Beautragten unsere Papiere finden? Wir bedauern jetzt, dass wir nicht die Briefmarkensammlung mitgenommen haben, diese wird jetzt vermutlich irgendeinem Amerikaner in die Hände fallen, hoffentlich weiss er diese Sammlung zu schätzen. Ich treffe einen meiner alten Klassenkameraden, der mich frägt, ob er nicht meinen Beschützer fragen könnte, ob er für die Heimatfront unterschreiben würde. Die Heimatfront ist eine Widerstandsorganisation, zu der zu gehören nicht ratsam ist. Ich sage ihm, dass ich den hohen Herrn nicht genug kenne, und dass es gefährlich sein könnte, ihn zu fragen. Wie angespannt die Lage ist, zeigt ein Zwischenfall. Ein Junge wird gefasst, vermutlich zwölf oder dreizehn Jahre alt, der für die Amerikaner spioniert hat. Er wird trotz verzweifeltem Widerstand sofort gehängt, und zwar oben auf einem sehr hohen Baum, um weithin sichtbar hängend die Angreifer abzuschrecken. Dann werden Flabkanonen aufgestellt und sehr lange Rohre gegen den Himmel gerichtet. Soldaten wimmeln um die Geräte herum, es scheint, dass man zu Testzwecken schiessen wird. Es scheint auch eine Übung stattzufinden, denn über uns im Wald taucht ein ganz von Zweigen bedecktes Ungeheuer auf, das sich auf die Truppen stürzt und dort für Verwirrung sorgt. Die Kaserne ist inzwischen geschlossen worden, und der Wagen des Reichsführers steht einsam im Kasernenhof. Es ist nicht zu sehen, wie wir wieder an unsere Papiere kommen, was uns aber nicht weiter beunruhigt, denn es sind eigentlich ganz wertlose Dinge. Sie könnten aber jetzt unter Umständen den Reichsführer in Schwierigkeiten bringen. Er wird, falls man gegen ihn vorgehen würde, einige Mühe haben, wenn er bezüglich der Herkunft und des Inhaltes dieser Papiere Aussagen machen müsste.   

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