Zweiter
Weltkrieg, letzte Kriegstage. Wir werden aus einem deutschen Bergdorf
evakuiert. Es muss alles sehr schnell gehen. Wir haben nur wenige Minuten Zeit,
um das nötigste mitzunehmen. Wir packen einige Mappen der Hängeregistratur, mit
irgendwelchen Papieren, Zeitungsausschnitten, komischen wertlosen Sachen, und
vergessen ganz, dass wir eigentlich Kleider mitnehmen sollten. Es ist Winter
und sehr kalt, und wir tragen jetzt nur einen dünnen Regenmantel. Obwohl wir
nicht Soldat sind, können wir unsere Akten im Dienstfahrzeug eines Offiziers
verstauen, der einen sehr hohen Rang einnimmt und in irgendeinem Bereich
Reichsführer ist. Er ist eine beeindruckende, unnahbare Erscheinung, gewiss von
altem Adel. Der Offizier kennt uns und ist uns wohlgesinnt, offenbar weil er
unsere wissenschaftliche und literarische Tätigkeit schätzt. Ein langer Konvoi
fährt zu Tal und dort zu einer grossen Kaserne. Dort herrschen Unruhe und
unklare Verhältnisse, man stoppt uns und untersucht die Fahrzeuge. Was wohl
geschieht, fragen wir uns, wenn die mit der Untersuchung Beautragten unsere
Papiere finden? Wir bedauern jetzt, dass wir nicht die Briefmarkensammlung
mitgenommen haben, diese wird jetzt vermutlich irgendeinem Amerikaner in die
Hände fallen, hoffentlich weiss er diese Sammlung zu schätzen. Ich treffe einen
meiner alten Klassenkameraden, der mich frägt, ob er nicht meinen Beschützer
fragen könnte, ob er für die Heimatfront unterschreiben würde. Die Heimatfront
ist eine Widerstandsorganisation, zu der zu gehören nicht ratsam ist. Ich sage
ihm, dass ich den hohen Herrn nicht genug kenne, und dass es gefährlich sein
könnte, ihn zu fragen. Wie angespannt die Lage ist, zeigt ein Zwischenfall. Ein
Junge wird gefasst, vermutlich zwölf oder dreizehn Jahre alt, der für die
Amerikaner spioniert hat. Er wird trotz verzweifeltem Widerstand sofort gehängt,
und zwar oben auf einem sehr hohen Baum, um weithin sichtbar hängend die
Angreifer abzuschrecken. Dann werden Flabkanonen aufgestellt und sehr lange
Rohre gegen den Himmel gerichtet. Soldaten wimmeln um die Geräte herum, es
scheint, dass man zu Testzwecken schiessen wird. Es scheint auch eine Übung
stattzufinden, denn über uns im Wald taucht ein ganz von Zweigen bedecktes
Ungeheuer auf, das sich auf die Truppen stürzt und dort für Verwirrung sorgt.
Die Kaserne ist inzwischen geschlossen worden, und der Wagen des Reichsführers
steht einsam im Kasernenhof. Es ist nicht zu sehen, wie wir wieder an unsere
Papiere kommen, was uns aber nicht weiter beunruhigt, denn es sind eigentlich
ganz wertlose Dinge. Sie könnten aber jetzt unter Umständen den Reichsführer in
Schwierigkeiten bringen. Er wird, falls man gegen ihn vorgehen würde, einige
Mühe haben, wenn er bezüglich der Herkunft und des Inhaltes dieser Papiere
Aussagen machen müsste.
Dienstag, 4. Juli 2017
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