Sonntag, 6. März 2016


Ich bin einigermassen überraschend in den Berner Grossen Rat gewählt worden, zusammen mit zwei mir bekannten Parteikollegen. Ich sehe sie am Vortag der ersten Sitzung fleissig an der Arbeit. Sie sitzen in einer Art Bibliothek, Stellwände trennen die vielen Studierenden. Ich gehe am ersten Kollegen nachlässig grüssend vorbei. Er ist nicht so wichtig, weil er erst in einem zweiten Wahlgang gewählt worden ist, und dies auch nur, weil mein anderer Kollege, im bürgerlichen Arbeitsleben mein Chef, ausnahmsweise auch noch seine Stimme abgegeben hat, obwohl dies für ihn nicht nötig gewesen wäre und Mehrarbeit bedeutet hatte. Mit meinem Chef unterhalte ich mich freundschaftlich und kurz, wobei er mir zu verstehen gibt, dass auch mein Eintritt in den Rat für ihn eine Überraschung ist und er sich nicht vorstellen kann, dass ich dort etwas leisten würde. Am nächsten Tag gehe ich in den Rat zur ersten Sitzung. Ich habe bereits ein Votum bei mir, in meinem Aktenkoffer müsste ich es aber zuerst einmal suchen. Ich sollte reden zur Legislaturplanung. Alles ist notiert, ich habe aber keine Ahnung mehr davon, was in meinem Papier steht. Der Saal weist eine komplizierte altertümliche Anordnung der Sitze auf. Die Damen und Herren, viele sind neu, sitzen in langen Bänken wie in Kirchenstühlen, wobei die Bänke alle gegen einen kleinen rechteckigen Mittelpunkt gerichtet sind, so ungefähr wie im englischen Unterhaus. Ich finde meinen Platz aber nicht in einer der Reihen, sondern ausserhalb des Gevierts, mit Blickrichtung gegen die Wand, von der uns ein Durchgang trennt. Viele andere sitzen auch so, neben mir ein erfahrener alter Parteikollege, der sofort in seiner bekannten lästigen Art zu schwatzen beginnt und viele Witzchen macht. Aus meinem Köfferchen fällt, als ich es öffne, viel Papiergeld, das von einem Spiel stammt, das ich mit Kindern spielte. Mein geschwätziger Kollege sammelt es belustigt auf und macht sofort wieder viele Sprüche. Daneben läuft aber der Ratsbetrieb, und ich sehe, wie die Versammlung brav und interessiert den Rednern zuhört. Wo aber die Redner stehen, und wo der Präsident sitzt, ist mir nicht klar. Aber bald sollte auch ich reden, wann das aber ist, weiss ich nicht. Der Präsident ist französischer Muttersprache und kann die Namen der Deutschschweizer nur schlecht aussprechen. Jetzt hören wir, dass er einen Herrn Uh-rec aufruft. Dieser Uh-rec ist aber nicht da, und etwas ungehalten ruft der Vorsitzende den nächsten Redner auf. Waren wir vielleicht dieser Uh-rec? Unser Name ist für einen Romand schwer auszusprechen und könnte ungefähr so tönen! Wir sind beunruhigt, weil es sehr unhöflich wäre, schon beim ersten Votum nicht zu erscheinen. Aber unser Kollege hat Erfahrung, er weiss, wie der Karren läuft und meint, wir könnten auch später noch sprechen, wir sollten uns einfach beim Präsidenten melden.

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