Ich
bin einigermassen überraschend in den Berner Grossen Rat gewählt worden,
zusammen mit zwei mir bekannten Parteikollegen. Ich sehe sie am Vortag der
ersten Sitzung fleissig an der Arbeit. Sie sitzen in einer Art Bibliothek,
Stellwände trennen die vielen Studierenden. Ich gehe am ersten Kollegen
nachlässig grüssend vorbei. Er ist nicht so wichtig, weil er erst in einem zweiten
Wahlgang gewählt worden ist, und dies auch nur, weil mein anderer Kollege, im
bürgerlichen Arbeitsleben mein Chef, ausnahmsweise auch noch seine Stimme
abgegeben hat, obwohl dies für ihn nicht nötig gewesen wäre und Mehrarbeit
bedeutet hatte. Mit meinem Chef unterhalte ich mich freundschaftlich und kurz,
wobei er mir zu verstehen gibt, dass auch mein Eintritt in den Rat für ihn eine
Überraschung ist und er sich nicht vorstellen kann, dass ich dort etwas leisten
würde. Am nächsten Tag gehe ich in den Rat zur ersten Sitzung. Ich habe bereits
ein Votum bei mir, in meinem Aktenkoffer müsste ich es aber zuerst einmal
suchen. Ich sollte reden zur Legislaturplanung. Alles ist notiert, ich habe
aber keine Ahnung mehr davon, was in meinem Papier steht. Der Saal weist eine
komplizierte altertümliche Anordnung der Sitze auf. Die Damen und Herren, viele
sind neu, sitzen in langen Bänken wie in Kirchenstühlen, wobei die Bänke alle
gegen einen kleinen rechteckigen Mittelpunkt gerichtet sind, so ungefähr wie im
englischen Unterhaus. Ich finde meinen Platz aber nicht in einer der Reihen,
sondern ausserhalb des Gevierts, mit Blickrichtung gegen die Wand, von der uns
ein Durchgang trennt. Viele andere sitzen auch so, neben mir ein erfahrener
alter Parteikollege, der sofort in seiner bekannten lästigen Art zu schwatzen
beginnt und viele Witzchen macht. Aus meinem Köfferchen fällt, als ich es
öffne, viel Papiergeld, das von einem Spiel stammt, das ich mit Kindern
spielte. Mein geschwätziger Kollege sammelt es belustigt auf und macht sofort
wieder viele Sprüche. Daneben läuft aber der Ratsbetrieb, und ich sehe, wie die
Versammlung brav und interessiert den Rednern zuhört. Wo aber die Redner
stehen, und wo der Präsident sitzt, ist mir nicht klar. Aber bald sollte auch
ich reden, wann das aber ist, weiss ich nicht. Der Präsident ist französischer
Muttersprache und kann die Namen der Deutschschweizer nur schlecht aussprechen.
Jetzt hören wir, dass er einen Herrn Uh-rec aufruft. Dieser Uh-rec ist aber
nicht da, und etwas ungehalten ruft der Vorsitzende den nächsten Redner auf.
Waren wir vielleicht dieser Uh-rec? Unser Name ist für einen Romand schwer
auszusprechen und könnte ungefähr so tönen! Wir sind beunruhigt, weil es sehr
unhöflich wäre, schon beim ersten Votum nicht zu erscheinen. Aber unser Kollege
hat Erfahrung, er weiss, wie der Karren läuft und meint, wir könnten auch
später noch sprechen, wir sollten uns einfach beim Präsidenten melden.
Sonntag, 6. März 2016
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