Mittwoch, 29. Mai 2019


Eine nun schon ältere Mitarbeiterin, mit der ich nie ein gutes Verhältnis hatte, kommt zu mir und sagt, wir könnten doch ein grosses Fest machen. Sie heirate nochmals, und zwar einen 30 Jahre alten Mann, und ich sei ja 70, das gebe zusammen 100 Jahre und würde das Motto des Festes bilden. Sie ist offensichtlich der Meinung, dass ich die meisten Kosten übernehmen könnte. Ich bin einigermassen ratlos. Sie sagt, ich könnte doch fast alles übernehmen, ich hätte ja einen Preis gewonnen, der mit 10 000 Franken dotiert sei. Den Namen des Preises verstehe ich nicht genau, es tönt wie Prix de Paris. Ich bin überrascht und erfahre, dass es gestern in den Zeitungen gestanden sei. Namen seien wie immer nicht genannt worden, sie aber wisse, dass ich zu den Preisträgern gehöre. Ich recherchiere und sehe, dass es tatsächlich eine Preisverleihung gegeben hatte, und zwar für den Prix Barnois. Im Wikipedia lese ich, dass es sich um eine renommierte Auszeichnung handelt, die für kulturelle und berufliche Leistungen, aber auch für vorbildliche Lebensführung vergeben wird, und zwar an Menschen, die bisher nicht bekannt waren und deren Namen auch nicht genannt werden sollen. Das Preisgeld beträgt tatsächlich 10 000 Franken. Den längeren Eintrag lese ich nicht, sehe aber, dass auch Reich-Ranicki erwähnt wird. Er war langezeit Jurymitglied. Für mich kommt die Sache sehr überraschend. Ist nur es ein Witz? Meiner Mitarbeiterin traue ich diesen Witz nicht zu, sie hat ja nie Spass verstanden. Warum aber dieser Preis? Und wie ist die Jury auf meine Person gestossen? Geht es etwa auch um literarische Leistungen? Sind diese aber nicht sehr problematisch? Wie könnten sie Grund sein für einen Preis, der gewiss von irgendwelchen linksliberalen Gutmenschen vergeben wird? Und was wäre zu meiner Lebensführung zu sagen? Diese muss wohl den naiven Bekannten, die mich für den Preis vorgeschlagen haben, vorbildlich erschienen sein, was natürlich ein Fehler ist. Wer hat mich wohl vorgeschlagen? Ich gehe die Liste meiner Bekannten durch. Es gibt einige, die zu den Höhergestellten und Einflussreichen gehören, die mich aber alle nur oberflächlich kennen, als stets freundlichen, hilfbereiten, gutmütigen, pflichtbewussten, arbeitsamen und braven Diener, Ehemann, Vater und Grossvater. Erschien ich ihnen preiswürdig?

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