Samstag, 30. März 2013


Ich befinde auf einer hohen Autobahnbrücke, einer Terrasse für Fussgänger, die zu einem Gebäudekomplex gehört, und bin daran, einen Terrorakt auszuführen. Ich habe eine schwere Platte aus der Verankerung gelöst und will sie hinunter in den dichten Verkehr stürzen lassen. Sie bleibt aber in den Drähten des Eisenbetons hängen und schwebt und schwankt in der Luft. Es wird Alarm ausgelöst, nach einigen Minuten erscheinen Soldaten in Kampfanzügen, die mich abführen, in eines der grossen Gebäude. Es ist klar, dass mein Fall eine Ungeheuerlichkeit darstellt, die schwere Konsequenzen haben wird. Ich werde aber entsprechend unseren modernen Strafverfahren sehr human behandelt und komme zunächst in ein Fitness-Center, wo ein Therapeut mit mir Entspannungsübungen macht,  ganz einfache, chinesische Übungen, die mich beruhigen sollen. Dann erscheint ein nervöser, ärgerlicher Staatsanwalt, der meinen Fall hat übernehmen müssen. Es ist klar, dass es eine Staatsaffäre ist, die grosse Dimensionen annehmen wird. Eigentlich ist alles noch glimpflich abgelaufen und niemand zu schaden gekommen, und die Kosten für die Beseitigung der herausgelösten Platte werden sich in Grenzen halten. Der eigentliche Skandal liegt aber darin, dass ein ganz normaler, unscheinbarer, durchaus geschätzter Staatsbeamter in hoher Position einen so schrecklichen und unbegreiflichen Anschlag hat begehen können. Man wird hier Parallelen ziehen zu ähnlichen Fällen im Ausland, in den USA und in Norwegen. Mein Fall findet auch sofort grosse Beachtung, ein hochrangiger Parlamentarier erscheint, ein ehemaliger Ratspräsident, der sich zu mir setzt, mich ansieht, aber nichts zu sagen weiss. Er rückt näher zu mir heran, ich spüre plötzlich seine Zunge in meinem Mund und ziehe mich angewidert zurück. Ich befinde mich in einem grossen, offenbar gut gesicherten Komplex von Räumen, Sälen und Innenhöfen in welchem ich mich frei und unbegleitet bewegen kann. Alles ist in einem orientalisierendem Stil gebaut, etwas billig und vulgär. Ich sehe auch eine Art Kamel, ein sehr schönes weisses Tier, das von einem Herrn am Zügel geführt wird und sich sehr elegant und federnd bewegt, so gleichmässig, dass sich vielleicht um einen sehr raffinierten  Roboter handeln könnte. Es finden Versammlungen statt und Seminare von hohen Kadern aus Wirtschaft und Staat. Ich will nicht auffallen und sitze bescheiden in einer Ecke. Eine Gruppe wird von einem Trainer angeleitet, sie macht Kniefälle und bewegt sich, unter immer neuen Kniefällen, auf uns zu. Meine Lage ist unangenehm, bedrückend und äusserst peinlich. Wie soll es weitergehen, wie wird man meine Tat bewerten? Welche geheimen Pläne verfolgte er, als er diese Platte herauslöste, das wird die Hauptfrage sein, die man abzuklären versuchen wird. Ich habe keinen Zugang zu den Medien, nehme aber an, dass überall nur von mir gesprochen wird. Wird man mich zu einer Freiheitsstrafe verurteilen? Wird man Therapien anordnen? Sicher werde ich nicht mehr an meinen Arbeitsort zurückgekehren können. Aber ob man mir den Lohn noch bezahlen wird? Und was wird mit meiner Rente geschehen, die ich ja bereits in vier Monaten beziehen könnte? Warum habe ich nur diese Tat begangen, vier Monate vor meiner Pensionierung? Ich kann es selber nicht erklären. Und jetzt fällt ja auch noch eine wichtige Abmachung ins Wasser, ich hätte ja heute Sachmet treffen sollen, Sachmet, die ich lange nicht mehr gesehen habe! Und ich kann sie nicht einmal benachrichtigen. Immerhin fallen mir Worte für die Absage ein, ich hätte ihr schreiben können, dass unser Rendez-vous aus aktuellem Anlass wegfällt. Und was ist mit meiner Familie? Was werden meine armen Eltern denken, wie werden sie sich schämen müssen, sie, die immer so stolz auch mich waren. Ich warte nun, einigermassen gelassen, auf weitere Massnahmen. Es geschieht aber nichts. Hat man mich etwa schon vergessen? Ist vielleicht alles gar nicht so schlimm? Vielleicht gab es ja nur kurze Meldungen auf den hinteren Seiten der Zeitungen oder überhaupt keine.

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