Montag, 2. Januar 2012

Wir sind in Lybien, etwas Dienstliches, ziemlich unnötig, und werden in den Bürgerkriegswirren, in dem gegen alle Erwartung Ghadhafi die Oberhand gewonnen hat, verhaftet. Wir sind natürlich völlig unschuldig, können aber jetzt im besten Fall als Geisel benutzt werden, vielleicht aber auch nur als Racheobjekt, an dem die Wut der Familie Ghadhafi auf unser Land ausgelassen werden kann. Drei Luxuslimousinen halten neben uns, eine Gruppe von Geheimdienstleuten steigt aus und erklärt uns, wir seien verhaftet. Es sind unheimlich ruhige, fast gemütliche Geheimdienstler, ältere Damen und Herren, die uns umringen und wegführen. Der Weg führt durch die Stadt, über weite Plätze, vorbei an vielen Passanten. Man hat uns nicht gefesselt, sondern lässt uns frei gehen, wir fallen nicht weiter auf. Was machen sie, fragen wir, wenn wir jetzt wegrennen. Dann schiessen wir, sagte eine dicke Dame grausam lächelnd, wir können sehr gut schiessen, wollen Sie das sehen, wir zeigen es Ihnen, setzen Sie sich doch nur mal hier hin. Da wir vermuten, dass sie ihre Schiesskünste direkt mit uns demonstrieren wollen, lehnen wir dankend ab. Einer der Männer nähert sich uns, mit grimmigem Gesicht, er ballt die Fäuste und fingiert Schläge gegen unseren Kopf. So wird es Ihnen bald ergehen, sagt er, da können Sie sicher sein. Dann wird eine blutig geschlagene Persönlichkeit in Uniform über einen Platz geführt, es ist ein Staatschef, Idi Amin, sagt man uns, dies ist Idi Amin. Wir sind einigermassen erstaunt, denn nach unserem Wissen ist Idi Amin doch schon lange tot, aber vielleicht hat er ja noch in Lybien gelebt. Jetzt ist er aber zum Tode verurteilt und wird zur Hinrichtung geführt, die auf einem offenen Platz vor einem Schlachthaus stattfindet, auf welchem auf grossen Haufen blutige tierische Abfälle liegen. Das Urteil wird durch das Volk vollzogen. Jugendliche springen über eine Abschrankung, spontane Volksjustiz, so scheint es wenigstens. Sie erhalten Säbel und Fleischermesser und hauen Idi Amin in Stücke. Dann geht es vorbei an einer riesigen Menschenmenge, die vor einer Kirche versammelt ist, dann durchschreiten wir ein grosses uraltes Holzgebäude, es ist dunkel, aber wir erkennen doch unzählige kleine Boxen, in denen sich etwas bewegt. Ist es schon das Gefängnis? Nein, es sind Stallungen, in den Boxen sind  Schweine eingesperrt, die sich kaum bewegen können. Dann kommen wir an einem Kloster vorbei, es gibt hier tatsächlich ein christliches Kloster. Vor der Pforte steht die Oberin, eine Österreicherin, die sich mit den versammelten Gläubigen auf deutsch unterhält. Wie kann das sein, dass man sie nicht verfolgt, denken wir. Ist sie vielleicht irgendwie mit dem Regime verbunden? Wir bleiben stehen, man lässt uns einen Augenblick unbeobachtet, es gelingt uns, der Klosterfrau eine Mitteilung zu machen. Rufen Sie in Bern an, sagen wir blitzschnell, sagen Sie, Sie hätten uns hier gesehen, wir seien abgeführt worden. Und wir sagen ihr unseren Namen, den sie aber nicht recht zu verstehen scheint. Jetzt kommen unsere Bewacher zurück. Was bleiben Sie hier stehen, fragt man uns. Wir wollen doch, sagen wir, noch ein bisschen etwas sehen, bevor es dunkel wird. Man lächelt freundlich. Ja, da haben Sie recht, es wird sehr bald sehr dunkel werden. Und wir kommen zu einem Fleischmarkt. Fast alles ist schon verkauft worden, in den Blutlachen liegt nur noch eine dicke grosse Krake. Sie lebt noch, kann sich aber nicht mehr bewegen, weil man ihr die Fangarme abgehauen hat. Auch sie wartet darauf, dass sie in Stücke gehauen wird. Wer aber mag denn diese weissliche Masse essen? Und was werden wir wohl zu essen bekommen, in den Folterkellern. Uns erwartet ein schreckliches, unberechenbares Schicksal, wir stellen uns vor, dass Ghadhafi selber oder zumindest einer seiner Söhne erscheinen wird, um sich an unseren Qualen zu ergötzen.

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