Silvesterabend.
Kleine Gesellschaft, graue, unscheinbare Gestalten, Büromenschen, irgendwo
etwas ausserhalb einer Stadt. Höchste Langeweile, niemand weiss, was machen,
niemand kann was machen. Einige sind unternehmungslustig und gehen weg, in die
Cooperativa, wie sie sagen, ein offenbar interessantes Lokal, aber sicher total
überfüllt. Wir sitzen weiter herum. Sollte ich nicht ganz einfach nach Hause
gehen und schlafen? Eine Praktikantin sitzt neben mir, auf einer unbequemen,
altmodischen Bank, die einzige junge Frau unter uns. Aber unschön, dick,
verschlossen, einsilbig, beschränkt, die uninteressanteste Frau der Welt. Ja,
gewiss auch beschränkt. Aus lauter Verdruss und Langeweile gebe ich ihr, als
es, wie ich meine, gerade niemand sieht, einen Kuss auf die Wange. Das ist
Wahnsinn, das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie erstarrt. Ich sehe, dass ich eine
Grenze überschritten und etwas ganz und gar Unverzeihliches gemacht habe.
Gesehen hat es möglicherweise ihre Mutter, eine Bauersfrau, die auch mit uns im
Zimmer sitzt, und die mich nun auch ganz entgeistert anschaut. Die junge Frau
steht auf, sucht total schockiert andere Gesellschaft und findet diese auch.
Einige Kollegen von mir, aktive, lustige Typen, wollen nun auch noch aufbrechen
und ziehen sich bereits die Mäntel an. Gewiss erwarten sie, dass ich auch
mitkomme. Das wage ich aber nicht, denn die junge Frau hat sich ihnen bereits
angeschlossen und drängt auf Aufbruch. Ich bin noch nicht bereit und suche
zögernd meinen Mantel, als ich sie bereits durch das Fenster eilig weggehen
sehe. Ich entschliesse mich, nach Hause zu gehen. Den dummen Kuss bereue ich
heftig. Er wird wohl noch Folgen haben und für dauerhafte Missstimmung sorgen.
Wenn er nicht, was eine grauenhafte Vorstellung ist, aber wohl erwartet wird,
von der Mutter wie von der Tochter, zu einer Erklärung meinerseits und einer
Eheschliessung führen würde.
Donnerstag, 30. Juli 2020
Dienstag, 28. Juli 2020
Ich
helfe, als Jugendlicher, mit bei der Organisation eines grossen religiösen
Festes. Zehntausend Gläubige treffen sich im Freien zu Konzerten,
Gottesdiensten und Gebeten. Ich habe ein Programm entworfen und bin nun
verantwortlich für die Durchführung. Zuerst sollten verschiedene Würdenträger
Begrüssungsworte sprechen und einführende Reden halten. Man hält sich aber
nicht an die vorgesehene Reihenfolge und beginnt mit einem Gesang, der
Aufführung eines modernen Werkes, das Jubilate
heisst. Es ist sehr schön und sorgt sofort für eine feierliche, gehobene
Stimmung. Niemand bemerkt die Umstellung des Programms, die ich auch gut finde.
Ich notiere mir, zuhanden des Tagungsberichtes, dass Jubilate bereits zu Beginn aufgeführt worden ist.
Montag, 20. Juli 2020
Ich
bin mit einer grösseren Gruppe, Klassenkameraden aus verschiedenen Klassen und
auch anderen Bekannten, in einer grossen osteuropäischen Stadt. Wir haben alle
an einem internationalen Treffen teilgenommen. Es ist der Tag der Heimreise,
unser Flugzeug fliegt um 10.30 Uhr zurück in die Schweiz. Mein Aufbruch
verzögert sich allerdings, und ich verliere mit einigen wenigen anderen viel
Zeit beim Frühstück. Wir befinden uns in einer etwas schäbigen Unterkunft, und
haben eine ganz schlecht organisierte Verpflegung. Ich bestelle, nach längerem
Warten, bei der einzigen Kellerin, die in unregelmässigen Abständen zu erscheinen
geruht, einen Tee und zwei Croissants. Zwei Kameraden geben aber auch
Bestellungen auf, und sie verspricht, alles miteinander zu bringen.
Schliesslich kommt sie mit einem Tablett zurück, auf dem sich mehrere
Frühstücke befinden, worunter auch irgendwelche Fruchtsäfte und andere Dinge,
die wir gar nicht bestellt haben. Ich verhandle wegen der Bezahlung, weil es ja
inzwischen eilt. Fünfzig Euro, sagt die Frau. Das ist gewiss viel zu viel, auch
wenn wir es durch drei teilen. Und ich habe überhaupt nur noch zehn Euro bei
mir. Sie rennt weg, ich muss warten. Mein Kamerad hat inzwischen das Tablett
genommen und ist damit hinausgegangen, es soll dort einen Garten geben, sagt
er. Ich warte daher weiter, komme aber noch in einen Disput mit einem anderen
Teilnehmer, einem dicken älteren Herr, der Ben heisst und sich sehr aufgeregt
über unsere Gesellschaft beklagt, in der kein Gemeinschaftsgeist herrschen
würde. Schliesslich schaue ich auf die Uhr und stelle mit grossem Schrecken
fest, dass es zehn Uhr ist und nicht neun Uhr, wie ich glaubte. Unsere Gruppe ist schon abgereist! Den Flug werden
wir mit Sicherheit verpassen, und ganz besondere Schwierigkeiten werden sich
ergeben, weil heute auch das Visum abläuft, das ein Gruppenvisum war. Wir
sitzen also jetzt in dieser unangenehmen Umgebung fest, ohne Visum und
Flugticket. Ich möchte jetzt wenigstens frühstücken, finde aber meinen
Kameraden, der mit dem Tablett verschwunden ist, nicht mehr. Draussen gibt es
nur altes Gemäuer und Gestrüpp, irgendwelche Sitzplätze oder Tische sind
nirgends zu sehen. Wie es jetzt weitergehen soll, ist unklar. Wird es für uns
für den Rückflug Ausnahmen geben? Flugticket und Visum? Unmöglich ist das
nicht, weil wir ja an einem grösseren Anlass teilgenommen haben und es wohl
auch andere Dummköpfe gibt, die den Rückflug verpasst haben. Aber wo sollen wir
nun übernachten? Und wann gibt es einen nächsten Flug? Und wie können wir die
Angehörigen informieren? Wir sind hier ausserhalb der Grossstadt untergebracht
worden, in einer noch ländlichen, leicht verlotterten Umgebung. Immerhin
scheint es hier einen Nachtklub zu geben, denn ich sehe jetzt, beim
Herumlaufen, eine offenes Portal, das in protzige, kitschig rot und golden
glänzende Räumlichkeiten führt.
Mittwoch, 1. Juli 2020
Ich
liege im Bett. Die Wohnungstüre ist wie immer nicht abgeschlossen. Ich höre,
wie jemand eintritt. Grüssli, rufe ich und wer isches. Dies aber nur für die
Katzen, die bei jedem Eintretenden beunruhigt aufspringen und es gerne haben,
wenn er sich meldet. Es ist ja immer eigentlich nur die Gattin und sicher
niemals ein Unbekannter. Jetzt aber ist es ein Unbekannter, ein grosser Mann,
etwas altmodisch und stutzerhaft gekleidet. Er grüsst nicht und geht in das
Zimmer der Gattin und besieht sich dort die Vorhänge. Ich stehe auf und frage
ihn, um was es gehen würde. Er äussert sich kurz und kaum verständlich. Wenn
ich ihn richtig verstehe, so kommt er von der Hausverwaltung und verlangt, dass
die Vorhänge gemäss den neuen Vorschriften nicht nur bis zum Fenstersims,
sondern bis zum Boden reichen. Mir ist nicht klar, worum es geht. Haben wir
nicht eine Eigentumswohnung? Welche Hausverwaltung kann uns da Vorschriften
machen? Der Herr hat es eilig, er geht wieder grusslos weg, muss aber
aufpassen, dass er unter den Türen den Kopf nicht anschlägt. Unsere Türen sind
gewiss zwei Meter hoch, er aber ist offensichtlich grösser. Ich werde den Fall
mit der Gattin besprechen müssen, sie weiss vielleicht, was wir nun unternehmen
müssen.
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