Montag, 26. April 2010
Wir haben mittels anonymem E-Mail ein furchtbares Verbrechen verübt, eine Destabilisierung der Regierung droht, eine Katastrophe, eine Art Revolution. Und wir merken nun, zu spät, dass wir sehr unvorsichtig gehandelt haben, und dass es den Polizeiorganen doch wohl leicht fallen wird, uns auf die Spur zu kommen. Wir leben nämlich in einer nationalsozialistischen, totalitären Gesellschaft, die über riesige Sicherheitspolizeien verfügt, die ohne weiteres in der Lage sind, die E-Mails eines Tages zu kontrollieren. Es würde ja genügen, in einer ersten Phase nur die auffälligen E-Mail-Adressen zu kontrollieren, denn unsere Mail-Adresse ist sonderbar und fällt sofort auf. Dann ist es nur noch nötig, den weiteren (sehr eingeschränkten) E-Mail-Verkehr dieser Person zu untersuchen, um auf unsere Identität und Adresse zu stossen. Wir werden gewiss bald verhaftet werden und schreckliche Verhöre und Strafen zu gewärtigen haben. Wir denken an Selbstmord, etnschliessen uns dann aber, unsere Familie zu verlassen und aufs Geratewohl unterzutauchen.
Samstag, 24. April 2010
Wir (wir sind vier Frauen) verlassen unsere Wohnung, müssen aber nochmals zurück, denn wir haben etwas vergessen. Das ist gewiss kein Unglück, denn die Wohnungtür steht offen, jemand ist in unserer Wohnung. Es muss ein Einbrecher sein, oder mehr als ein Einbrecher, ein böser Feind, ein Übeltäter, ein Monstrum. Wir sind sehr beunruhigt, unsere Herzen klopfen, wir sollten eigentlich sofort die Polizei rufen, das Überfallkommando, eine stark bewaffnete Antiterror-Einheit. Oder sollten uns selber bewaffnen, wir haben nämlich einige Pistolen irgendwo in einem Kasten, sie sind aber nicht geladen, und es ist nicht klar, ob es auch Munition dabei hat. Wir entschliessen uns, die Angelegenheit selber und unbewaffnet zu erledigen, gehen in die Wohnung hinein und rufen: Raus! Raus! Der Unhold ist nicht zu sehen, es scheint, dass er im Schlafzimmer ist und die Türe hinter sich geschlossen hat. Es wird nun doch zu unheimlich, wir gehen hinaus, rennen weg, werden nun aber verfolgt, der Gewaltige verfolgt uns. Im Schnee, auf Skis, über Skipisten. Er bremst neben uns, kommt zu Fall, das gibt uns Gelegenheit zu einem Gegenschlag. Wir treffen ihn mit einem schweren Stein am Kopf, er bleibt liegen, wie tot, schrumpft zu einem kleinen Fleck zusammen. Wir haben Angst, dass er doch wieder auferstehen und zu Kräften kommen könnte, bedecken ihn daher mit einem Tuch und setzen uns auf ihn. Das hilft aber nichts, er erholt sich, bläst sich auf und ist wieder der alte Riese. Wir fliehen wieder, rasen auf den Skis die Hänge hinunter, kommen zur Talabfahrt, auf einen engen vereisten Waldweg, er verfolgt uns, wird wegen seinem Gewicht schneller und schneller, schiesst an uns vorbei, dreht sich um die eigene Achse, rast rückwärts den Eiskanal hinunter, nun eine grosse hagere Gestalt, und fliegt schliesslich, in einer Kurve, über den Weg hinaus in die Tiefe, hinunter in ein Tobel, über hohe Felsen hinab in einen vereisten Bergbach. Jetzt haben wir vermutlich Ruhe, denken wir (wir sind noch immer vier Frauen). Wir fahren zu Tal, unbehelligt, sind aber nun nicht sicher, ob der Teufel nochmals auftauchen wird.
Freitag, 16. April 2010
Wir sind in den Ferien, im Süden, allein, in einer etwas schäbigen Ferienanlage. Am Tag wird nichts geboten, wir sind frei, können machen, was wir wollen. Am Abend stehen zwei Verpflegungsmöglichkeiten zur Verfügung, ein Restaurant, wo es langweilig ist, muffig, mit unfreundlicher, langsamer Bedienung, und eine Kantine mit Selbstbedienung, wo wir wenigstens rasch essen können. Nach einer schönen Wanderung durch kleine Dörfer kommen wir gegen Abend zurück, überlegen, wo wir essen wollen, entscheiden uns für die Kantine, sehen aber, dass sich einige Leute auf einem kleinen erhöhten Parkplatz versammeln, um den Sonnenuntergang zu sehen. Diesen wollen wir uns auch ansehen. Die Sonne steht gross und rot am Horizont, bewegt sich aber auch, fährt nicht nur am Himmel dahin, sondern auch vor einem Gebirgskamm, wo sie seltsamerweise auch erscheinen kann. Sie schwebt vor dem Gebirge, es ist, wie wenn von einem Scheinwerfer ein Lichtkreis auf das Gebirge geworfen würde. Wir gehen über den Parkplatz, allein, ein alter Knabe, der aber immerhin so attraktiv ist, dass er einer Gruppe von älteren Frauen auffällt, die lustige Sprüche machen. Das wäre doch etwas für dich, sagen sie zueinander. Wir kommen zum Ende des Parkplatzes, wo es steil hinunter zum Meer geht und sich auch eine ganz schmale, tiefe Schlucht öffnet, eine Touristenattraktion, die sich nun auch die Frauengruppe ansieht. Es ist nicht ungefährlich, denn es hat kein Geländer, und wenn man in die Schlucht hineinsehen will, muss man im freien abschüssigen Gelände herumklettern. Eine der Frauen legt sich hin, unvorsichtigerweise, sie will hinuntersehen und würde, wenn wir sie nicht im letzten Moment an den Füssen festhielten, in die Tiefe rutschen. Dieses Missgeschick hindert eine andere Dame nicht daran, den Erdspalt zu erkunden. Sie verliert das Gleichgewicht, fällt hinein und wird vom strömenden Wasser in ein Loch gerissen, das gerade so gross ist, um einen Körper zu verschlingen. Schon sind nur noch ihre Hände zu sehen, sie suchen verzweifelt nach Halt. Eine Frau will helfen, steigt hinunter, von uns gehalten. Es gelingt ihr wirklich, die Hände zu packen, die unvorsichtige Frau kann tatsächlich wieder aus ihrem Felsloch gezogen und gerettet werden. Das ist nun wirklich eine echte Lebensrettung, sagen wir alle, stehen herum, sind einigermassen erleichtert, aber auch nicht erfreut, es gibt keinen Dank, wir unternehmen weiter nichts gemeinsam, sondern gehen weiter unsere einsamen Wege.
Samstag, 10. April 2010
Dienstag, 6. April 2010
Hinterzimmer eines einfachen Gasthauses, Imbiss nach der Beerdigung einer alten, entfernt mit uns verwandten Tante. Neben mir sitzt ein schweigsamer, unauffälliger Mann, Onkel Robert, sagt man. Wie wir mit ihm verwandt sind, wissen wir nicht. Sicher ist, dass er zu jenen Verwandten gehört, mit denen man so wenig wie möglich zu tun haben will, zu den langweiligen, dummen Verwandten, die in einem Heim leben und der Allgemeinheit zur Last fallen. Der Onkel Robert, sagt man mir, ist einer, der nie viel redet. Er redet wirklich nicht, sondern isst mit viel Appetit vom einfachen Teller mit Aufschnitt und Salaten, der uns serviert wird. Die Mahlzeit ist schon fast beendet, als ich ihn etwas genauer ansehe. Sein verkniffenes, faltenreiches Gesicht kommt mir plötzlich sehr bekannt vor. Er sieht, dass wir ihn anstarren, und lächelt sonderbar und amüsiert. Robert, sagt er langsam nickend, ja, Robert Zimmermann. Und Bob Dylan bin ich nur, wenn ich Bob Dylan sein muss. Dann fällt er zurück in seine Heiminsassen-Existenz und redet weiter kein Wort mehr. Als sich alle verabschieden, wendet er sich nochmals zu mir und sagt mit halbwegs freundlichem Lächeln: I'll let you be in my dreams if I can be in yours.
Freitag, 2. April 2010
Wildnis, Campingplatz. Wir übernachten mit der Familie im kleinen halbrunden grünen Zelt, liegen eng beieinander, haben kaum Platz. Wir beim Eingang, hören allerlei Geräusche vor dem Zelt, Tiere bewegen sich, Kaninchen oder weiss Gott was. Wir öffnen den Reissverschluss, wollen nachsehen. Drei oder vier kleine graue kräftige Tierchen bewegen sich schnell und auf kurzen Beinen unter dem Vordach, eines dringt sofort neugierig ins Zelt ein. Es sind Wildschweinchen, wie wir jetzt sehen. Ein überraschender und irgendwie nicht ganz ungefährlicher Besuch, denn in einiger Entfernung sehen wir die Mama, ein grosses schweres Tier, das die Bewegungen der Kinderschar aufmerksam überwacht.
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